Ausstellung erzählt Geschichte der Wolgadeutschen-1

Ausstellung erzählt Geschichte der Wolgadeutschen

2. November 2012

Die Sehnsucht nach zu Hause trägt Ida Bikkel ganz tief im Herzen. Nicht die nach dem Ort, der ganz im Norden Russlands liegt, sagt sie. Es ist vielmehr die, die die Erinnerung an die Eltern und das Haus, die dörfliche Gemeinschaft, den Duft des sibirischen Sommers wach hält, all die Erlebnisse und Geschichten. 

Seit sie in Deutschland lebt, über 5 000 Kilometer Luftlinie von ihrem ehemaligen Dorf entfernt, will sie all das nicht nur für sich festhalten sondern auch anderen mitteilen. So kam die Idee, eine Ausstellung im Christophorushaus in Wolfen zu gestalten. An der hat sie über ein Jahr gearbeitet, hat in Büchern gelesen, im Internet recherchiert, hat andere Leute begeistert, Exponate gesammelt. "Gucken sie nur", sagt sie und zeigt gerührt und begeistert in die Runde, "da hängt Bettwäsche. Man durfte doch nur 25 Kilo Gepäck mitnehmen nach Deutschland. Die Leute haben ihre schöne Bettwäsche mitgenommen." 

 Die Ausstellung, an der auch die Mitglieder des Frauenkreises Wolga mitgewirkt haben, berichtet über den Alltag der Russlanddeutschen, über Lebenswege und Schicksale, über ihren erfolgreichen Beitrag zur russischen Wirtschaft, zu Kultur und Kirche, über Vertreibung, Unterdrückung, Zwangsarbeit, Gulag. Und schließlich über den Weg zurück in das Land der Vorfahren. "Seit 1998 bin ich in Deutschland. Voriges Jahr bin ich nach Wolfen gezogen zu meinen beiden Kindern und ihren Familien. Ich bin angekommen", sagt die 59-Jährige, die viele Jahre in Novosibirsk Lehrerin gewesen ist. Längst hat sie in Wolfen Freunde gefunden. Und mit der Arbeit, sagt sie, sieht es auch gut aus: In den Euro-Schulen und in der Volkshochschule gibt sie Russischkurse. 

Ihre Familiengeschichte erzählt Ida Bikkel ab dem Jahr 1776, so weit hat sie sie zurückverfolgt. Es ist die Geschichte einer typisch wolgadeutschen Familie. Sie beginnt mit der Zarin aus Zerbst und ihrer Einladung in ihr Riesenreich. Bayern, Hessen, Rheinländer, Pfälzer, Schwaben folgen der deutschstämmigen Herrscherin in ein Siedlungsgebiet an der unteren Wolga. Dort gründen sie Dörfer - Ida Bikkels Vorfahren, die Weber sind, gründen zusammen mit 74 weiteren Leuten zum Beispiel das Dörfchen Bettinger. Die Deutschen wurden von Katharina II. angeworben, vor allem um die Steppengebiete an der Wolga zu kultivieren. Die Rechnung geht auf - die deutsche Landwirtschaft steht in Blüte. 

Doch das Glück wandelt sich auf dramatische Art. 1941 werden die Wolgadeutschen verbannt - nach Sibirien, nach Kasachstan. Die Sowjets verdächtigten sie, sie könnten Deutschland im Krieg helfen. Sie sind plötzlich Volksfeinde, werden deportiert in die Zwangsarbeit - Gulag und Trudarmee, die Begriffe fassen das Leid und Elend zusammen. 

Die Geschichte von Ida Michel steht in der Ausstellung als ein Beispiel von vielen. Nach der Ankunft in Kasachstan 1941 mussten der Vater und zwei ältere Schwestern gleich in die Trudarmee. "Sie durften nicht mehr in die Schule. Deutsche waren nicht zum Lernen, sondern zum Arbeiten da", informiert eine Tafel. Die deutsche Sprache ist verboten. "Zu Hause haben wir immer deutsch gesprochen", sagt Ida Bikkel. Sie erinnert sich noch heute, wie traurig sie war, als die Lehrerin vor ihren Augen ihr "schönes, buntes ABC-Buch" zerriss, das sie ihr stolz zeigen wollte. 


Quelle: <link http: www.mz-web.de servlet _blank external-link-new-window>Opens external link in new windowMitteldeutsche Zeitung, 01.11.2012

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